Mechtilde de Bar (1614-1698)

M. Mechtilde Catherine de Bar, Gründerin der

Benediktinerinnen vom Hlst. Sakrament

Kurzbiografie

Ikone aus Warschau

So wie auf dieser Ikone hat unsere Ordensgründerin Mechtilde Catherine de Bar natürlich nicht ausgesehen. Aber die Ikone, in einem unserer polnischen Klöster vor wenigen Jahren gemalt, drückt Wesentliches von ihr aus.

Mechtilde sitzt vor einem goldenen Hintergrund (in der Ikonenkunst ist damit immer der Bereich Gottes, der „Himmel“ gemeint), auf der Brust trägt sie eine kleine Monstranz. Dieses Ornament gehörte bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil zur Ordenstracht aller Benediktinerinnen vom Hlst. Sakrament. (In einigen Ländern wird sie heute noch getragen.) Natürlich befand sich keine echte Hostie darin, sondern war nur ein Symbol für das, was den Schwestern besonders am Herzen lag: die Eucharistie – das heißt, die Gegenwart Christi, die Gegenwart der Mensch gewordenen, im Zeichen des Brotes verborgenen Liebe Gottes, die Gegenwart der Leib und Blut gewordenen Liebe. Dieses Geheimnis[1] faszinierte Mechtilde. Sie wollte Antwort geben auf eine so unfassbare göttliche Liebe, die sich leibhaftig, berührbar, empfänglich, anschaulich gemacht hat. Mechtilde wollte sie aufnehmen und anbeten – auch für diejenigen, die sie nicht erkennen und nicht erwidern. Sie wollte ganz aus dieser Liebe leben, sie weitergeben.

Um ihren Kopf herum schweben sieben weitere Ornamente, die wie Kerzen aussehen. Es sind sieben kleine Monstranzen. Sie deuten die sieben Klöster an, die sie gegründet hat. In der linken Hand trägt sie eine Ikone der Gottesmutter Maria mit dem Kind Jesus – ein Hinweis auf das Glaubensgeheimnis der Menschwerdung Gottes, das Mechtilde sehr verehrte. In der sogenannten „École Francaise“, einem religiös-mystischen Neuaufbruch im 17. Jahrhundert in Frankreich, an dem sie lebhaft teilhatte, spielte  – angesichts entsetzlicher Scherbenhaufen nach fürchterlichen Konfessionskriegen – die Verehrung der Menschwerdung Gottes bezeichnenderweise eine zentrale Rolle. Es zeigte sich darin die Sehnsucht nach einer neuen Wertschätzung der Würde des Menschen, dessen Natur Gott selbst angenommen hat. Man sah dieses Geheimnis sehr eng verbunden mit der Taufe und der Eucharistie, die diese ganzheitliche Annahme des Menschen durch Gott öffentlich zum Ausdruck bringen. Mechtilde erkannte in der Kommunion die Menschwerdung Gottes im eigenen Herzen, in der Mitte der Person und in der Mitte der Kirche und Welt von heute. „Heute“, das war für sie das 17. Jahrhundert, für uns ist es das 21. Jahrhundert. Maria, die Mutter Jesu, kann gar nicht von diesem Geheimnis getrennt werden. Ein Gott, der Mensch wird, wächst im Leib einer menschlichen Mutter heran, wird von ihr als Kind großgezogen. Daher wurde Maria bereits 431 im Konzil von Ephesus der Titel „Theotokos“, Gottesgebärerin zuerkannt. Als solche ist sie in der Kirche immer verehrt worden. Wenn die Menschwerdung Gottes als Geheimnis des Glaubens für alle Zeiten gegenwärtig bleibt, dann spielt die Gottesmutter für alle Zeiten eine wichtige Rolle, wo Menschen diese Fleisch und Blut gewordene Liebe Gottes in sich aufnehmen und anbeten. Mechtilde stellte sich gern vor, dass sie aus Marias Händen die Kommunion empfing.

In der rechten Hand hält sie eine Rolle, auf der steht: „J’adore et je me soumets“, (ich bete an und ergebe mich). Das waren ihre letzten Worte. „J‘adore“, sagen noch heute viele Franzosen, wenn ihnen etwas besonders gut gefällt. Aber Mechtilde meinte natürlich viel mehr.

Anbetung ist für viele Menschen heute, zumindest hierzulande, ein fremdes Wort. Dabei ist das „Anbeten“ geradezu ein Charakteristikum unserer Zeit geworden. Menschen beten das an, was sie total erfasst, nicht loslässt. Wer heute etwa in Zügen reist, kann sich vorkommen wie in einem mobilen Tempel, in dem ganze Generationen die „ewige Anbetung“ des Smartphones praktizieren. Auch Schönheit wird angebetet, vor allem die eigene (zumindest die Wunschvorstellung davon), oder ein Mensch, der zum Idol geworden ist. Leistung wird angebetet, Geld, wirtschaftliches Wachstum, Profit, Prestige, Macht, Sex, Individualismus etc. Und immer, wenn wir diese Dinge anbeten, ist es das eigene „Ego“, das etwas davon haben will, das stimuliert oder betäubt werden will. Wir amputieren es sozusagen von uns selbst und stellen es auf einen imaginären Altar, wo wir es beweihräuchern. Ich drücke es drastisch aus, aber ich beziehe mich ja nicht darauf, dass man etwas mag oder fasziniert davon ist – das ist O.K. –, sondern dass man sich daran berauscht, es anbetet – und sich schließlich in dieses Angebetete hinein verliert. Was wir anbeten, herrscht über uns. Wer sein Smartphone anbetet, lässt es kaum los, schaut es an und „streichelt“ es den ganzen Tag, gibt ihm Macht über sich. Wer sein „Ego“ anbetet, wird von einer Karikatur des eigenen Selbst beherrscht.

Mechtilde betet die Liebe an, auf die hin sie ihr ganzes Leben gelebt hat. Nicht „liebe“ Gedanken, nicht sanfte Gefühle oder altruistische Entschlüsse (nichts gegen sie – aber sie können auch schnell vergötzt werden!), sondern die Liebe in Person: die göttliche Liebe, die Nähe schenkt und befreit, die Halt gibt und das Dasein verwandelt. Die göttliche Liebe, die Mensch wird, Weg der Befreiung, gegenwärtige Wahrheit, Auferstehung und Leben. Wo diese Liebe angebetet wird, herrscht sie in uns. Und wo sie herrscht, ermächtigt sie uns zum Lieben – in der Freiheit des Herzens. Mechtilde bringt ihr mit ihren letzten Atemzügen ihre tiefste Sehnsucht dar, ihr nacktes Herz, das jetzt keinen Halt mehr auf Erden hat und nur noch eingehen kann in diesen Ozean der Liebe. Sie lässt sich in diese Liebe hinein los – „je me soumets“ – mit einem liebenden Blick zu ihren Mitschwestern, die bewegt um sie herum stehen und denen sie mit gebrochener Stimme noch ein paar Tipps für das geistliche Leben hinterlässt.

Wer aber war diese hierzulande recht unbekannte Mechtilde de Bar?

Catherine, wie sie mit Taufnamen heißt, erblickt das Licht der Welt am 31. Dezember 1614 in St. Dié (Lothringen), als drittes von insgesamt sechs Kindern der Landadligen Jean de Bar und Marguerite de Guillon. Als Kind ist sie oft krank, zeitweise sogar blind. In dieser Zeit schaut sie vor allem nach innen, in die Tiefe, wo sie nichts sieht und doch mehr erkennt, als Sehende sehen können. Ihre Mutter stirbt, als Catherine noch minderjährig ist. In ihrer Not vertraut sie sich der Gottesmutter Maria an und erwählt sie als ihre Mutter. Diese Erfahrungen wecken in dem vielseitig begabten Mädchen schon früh ein tiefes Gespür für die Gegenwart Gottes in ihrem Leben und eine ausgeprägte Sehnsucht nach Gott, nach Gebet.

Mit sechzehn Jahren tritt Catherine in den Orden der Annunziatinnen in Bruyères ein. Doch bald bricht die Pest im Kloster aus. Die junge Novizin bleibt als einzige gesund, leidet aber sehr unter der bedrückenden Situation während der Epidemie, die alle Schwestern bis auf fünf hinwegrafft, und unter der mangelnden Ausbildung im Noviziat. Noch schlimmer sind jedoch die Bedrohungen durch den „Dreißigjährigen Krieg“ (1618-1648), der seit Anfang der 1630er Jahre auch in ihrer Heimat Lothringen tobt. Catherine und ihre überlebenden Mitschwestern müssen ab 1635 mehrmals von Ort zu Ort fliehen, ihr Kloster wird völlig niedergebrannt. Schließlich finden sie Zuflucht bei den Benediktinerinnen von Rambervillers. Dort lernt Catherine die Regel Benedikts kennen und fühlt sich von dem Text zutiefst angesprochen. Nach einer Zeit der Prüfung entscheidet sie sich, in den Orden der Benediktinerinnen überzutreten, wo sie den Ordensnamen Mechtilde erhält. 1640 legt sie in Rambervillers die benediktinische Profess ab.

Nach der Profess kann sie jedoch nur wenige Wochen in ihrem neuen Kloster leben. Krieg und Hunger verfolgen die Schwestern auch hier. Mechtilde flieht mit einigen Mitschwestern auf Umwegen nach Paris, wo sie zunächst für ein Jahr in der großen Abtei der Benediktinerinnen auf dem Montmartre bleiben kann. Nach weiteren Zwischenstationen in verschiedenen Klöstern und Hospizen lässt sie sich schließlich mit ihren Mitschwestern in der rue du Bac in Paris nieder. Dort wird sie von frommen adligen Damen „entdeckt”, die der mittellosen Flüchtlingsgemeinschaft großzügig helfen. Bald entstehen tiefe Freundschaften, und eines Tages tragen die frommen Damen an Mechtilde den Wunsch heran, angesichts des Glaubensmangels und der häufigen Entehrungen der Eucharistie in den fürchterlichen Kriegszeiten eine benediktinische Kongregation zu gründen, die sich besonders der Anbetung des in der Eucharistie gegenwärtigen Herrn widmet. Mechtilde ist von der Idee begeistert, da ihr die Eucharistie sehr am Herzen liegt, zögert aber, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Nach vielem Zureden erklärt sie sich schließlich bereit, es zu versuchen, weil sie Gottes Führung darin erahnt.

Sobald die notwendigen Genehmigungen der geistlichen und weltlichen Obrigkeit erfolgt sind, wird das Allerheiligste in der rue du Bac am 25. März 1653 zum ersten Mal zur Anbetung ausgesetzt. Dieser Tag wird in die Geschichte eingehen als der Gründungstag des Instituts der „Benediktinerinnen von der Ewigen Anbetung des Hlst. Sakramentes“.

Ein Jahr später verlässt die Gemeinschaft die armselige Behausung der rue du Bac und zieht in ein größeres Gebäude in die Pariser rue Férou ein. Am 12. März 1654 wird dort die Klausur (der Wohnbereich der Schwestern) feierlich errichtet. Die anwesende Königin Anna von Österreich erklärt das Kloster offiziell zur königlichen Stiftung und betet die „Amende honorable“ (feierliches Sühnegebet) wegen der Gräuel des Krieges und der vielen Frevel gegen die Eucharistie.

Am 22. August 1654 erwählt Mechtilde die Gottesmutter Maria als immerwährende „Äbtissin” der Benediktinerinnen vom Hlst. Sakrament. Damit folgen sie einer alten Tradition, die bereits in der benediktinischen Reform von Cluny praktiziert wurde. Die Oberinnen der Klöster werden nicht als Äbtissinen mit Stab und Brustkreuz auftreten und auf Lebenszeit in ihrem Amt bleiben, sondern ohne jede äußere Insignie die schlichte Bezeichnung „Priorin” tragen und regelmäßig neu gewählt werden. Der Äbtissinnenstab bleibt an der Statue der Gottesmutter. Die inzwischen größer gewordene Gemeinschaft zieht im März 1659 in ein neues Klostergebäude in die rue Cassette in Paris um. Dieses Kloster wird bis zur Französischen Revolution bestehen bleiben.

Die erste Neugründung außerhalb von Paris erfolgt bereits 1664 in Toul in Lothringen. Rambervillers schließt sich zwei Jahre später dem neuen Institut der Benediktinerinnen vom Hlst. Sakrament an, 1669 folgt das Benediktinerinnenkloster in Nancy. Bis zum Tod Mechtildes am 6. April 1698, einem Weißen Sonntag, wird sie noch fünf weitere Klöster gründen.

[1] Das Wort „Geheimnis“ klingt heute vielen Menschen wie veraltete religiöse Sprache. Es meint aber nicht „geheim“, wie in der profanen Sprache, sondern ist hier zu verstehen im Sinne von „Mysterium“, das wir nur „mystisch“ im Herzen erahnen können, nicht rational verstehen. Es drängt sich nicht auf, es ist verborgen.

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